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17.10.2024

Strafrecht,Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Foto von "Gruppe Reuß"-Angeklagten durfte nicht veröffentlichet werden

Unterlassungs­anspruch wegen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeits­rechts

Das Landgericht Karlsruhe hat entschieden, dass die Veröffentlichung eines unverpixelten Fotos des Klägers durch die Beklagte unter den konkreten Umständen des Einzelfalls rechtswidrig war und künftig zu unterlassen ist.

Der Kläger ist einer der Angeklagten im Strafprozess um die „Gruppe Reuß“ vor dem OLG Stuttgart. Er befindet sich seit seiner Festnahme am 07.12.2022 in Untersuchungshaft. Die Beklagte, die unter anderem einen Fernsehsender betreibt, zeigte in ihrer bundesweit ausgestrahlten Nachrichtensendung „Das Nachtjournal“ vom 30.04.2024 ein Foto des Klägers im Rahmen ihrer Berichterstattung über den Prozessauftakt vor dem OLG Stuttgart am Vortag. Das Foto, in dessen Veröffentlichung der Kläger nicht eingewilligt hatte, wurde von der Polizei gefertigt, es stammt aus der Ermittlungsakte des Generalbundesanwalts. Gegen den hiergegen erwirkten Eilbeschluss des Landgerichts vom 05.06.2024 ist die Beklagte vorgegangen.
LG bejahrt Unterlassungsanspruch
Das Landgericht hat nunmehr nach mündlicher Verhandlung erneut in der Sache entschieden.. Danach kann der Kläger von der Beklagten die Unterlassung der Ausstrahlung seines Fotos verlangen. Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine entsprechende Rechtfertigung liegt hier nicht vor. Dies ergibt sich aus einer Abwägung zwischen der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK) einerseits, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) andererseits unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 23 KunstUrhG.

Leitend waren für das Gericht dabei insbesondere folgende Erwägungen: Medien dürfen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, deren Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der von der Tat Betroffenen und die Verletzung der Rechtsordnung, die Sympathie mit Opfern und ihren Angehörigen, die Furcht vor Wiederholungen und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen ein anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Straftat durch ihre besondere Begehungsweise oder die Schwere ihrer Folgen von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei Straftaten besteht häufig ein legitimes Interesse insbesondere auch an der Bildberichterstattung über einen Angeklagten, weil sie oft durch die Persönlichkeit des Täters geprägt sind und Bilder prägnant und unmittelbar über die Person des Täters informieren können.
Stigmatisierungsgefahr vor Schuldspruch
Eine den Angeklagten identifizierende Berichterstattung beeinträchtigt andererseits zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert. Die bis zur rechtskräftigen Verurteilung zu Gunsten des Angeklagten sprechende Unschuldsvermutung (Art. 20 GG – Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, Art. 6 Abs. 2 EMRK) gebietet eine entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung. Außerdem ist eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen, die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass auch eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt als eine Wort- und Schriftberichterstattung in Hörfunk und Presse.

Die besondere Schwere einer angeklagten Tat und ihre als besonders verwerflich empfundene Begehungsweise können im Einzelfall nicht nur ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, sondern auch die Gefahr begründen, dass der Angeklagte eine Stigmatisierung erfährt, die ein Freispruch möglicherweise nicht mehr zu beseitigen vermag. Es besteht die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“. Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch wird daher oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Landgericht Karlsruhe
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:09.10.2024
  • Aktenzeichen:22 O 6/24

Quelle:Landgericht Karlsruhe, ra-online (pm/ab)