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13.06.2007

Vertragsrecht,Verbraucherrecht

BGH: Anfechtung von Gaspreiserhöhungen nur sehr begrenzt möglich

Bundesgerichtshof verwirft Revision eines Verbrauchers

Gaspreiserhöhungen können unter bestimmten Voraussetzungen gerichtlich gem. § 315 BGB überprüft werden. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die gerichtliche Überprüfung des Gaspreises ist jedenfalls dann möglich, wenn der Gasversorger die Preiserhöhung mit höheren Bezugskosten begründet. Geklagt hatte der als "Gaspreis-Rebell" bekannt gewordene pensionierte Heilbronner Richter Klaus von Waldeyer-Hartz. Der BGH wies die Klage ab.

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer von der Beklagten vorgenommenen Erhöhung der Gaspreise zum 1. Oktober 2004. Die Beklagte versorgt Endverbraucher im Bereich der Stadt Heilbronn mit Erdgas. Der Kläger ist Tarifgaskunde. Am 30. September 2004 gab die Beklagte ihren Tarifkunden durch Veröffentlichung in der "Heilbronner Stadtzeitung" die Erhöhung der Gastarife bekannt. Der Arbeitspreis des Grundpreistarifs 3 des Klägers wurde von netto 3,47 Cent/kWh auf netto 3,84 Cent/kWh erhöht; der monatliche Grundpreis blieb unverändert. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass "aufgrund einer Kostensteigerung beim Bezug von Erdgas sich die Abgabepreise für Erdgas" erhöhen.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Gaspreiserhöhung durch die Beklagte zum 1. Oktober 2004 unbillig und daher unwirksam sei. Das Amtsgericht hat die Unbilligkeit der Preiserhöhung festgestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil die Beklagte nur die gestiegenen Bezugspreise weitergegeben habe und die Preiserhöhung daher der Billigkeit entsprechen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebte der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Er hat entschieden, dass § 315 BGB auf die streitgegenständliche Preiserhöhung Anwendung findet und die vom Berufungsgericht gemäß § 315 BGB vorgenommene Billigkeitsüberprüfung keinen Fehler aufweist. Das den Gasversorgungsunternehmen gemäß § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (AVBGasV) eingeräumte Recht, die allgemeinen Tarife durch öffentliche Bekanntmachung einseitig zu ändern, stellt ein gesetzliches Leistungsänderungsrecht dar, auf das § 315 BGB Anwendung findet. Erfolgen solche Preiserhöhungen wegen gestiegener Bezugskosten, nimmt das Gasversorgungsunternehmen sein berechtigtes Interesse wahr, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an die Kunden weiterzugeben. So verhielt es sich auch im vorliegenden Fall. Es konnte deshalb offen bleiben, ob eine Billigkeitskontrolle auch auf der Basis eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Gasversorgungsunternehmen vorgenommen werden kann.

Eine Überprüfung der Billigkeit der von der Beklagten mit ihrer Lieferantin vereinbarten Bezugspreise, die der Kläger wegen der so genannten Ölpreisbindung der Erdgaspreise beanstandet hatte, war im Rahmen der Billigkeitsüberprüfung der Tariferhöhung nicht vorzunehmen.

Der Bundesgerichtshof hatte nicht darüber zu entscheiden, ob die bereits vor der Preiserhöhung geforderten Tarife unbillig überhöht waren und die Beklagte eine etwaige Unbilligkeit im Rahmen der von ihr nach billigem Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Weitergabe der gestiegenen Bezugskosten hätte berücksichtigen müssen. Eine Überprüfung der vor der Preiserhöhung geltenden Tarife der Beklagten auf ihre Billigkeit kam nicht in Betracht, weil es sich um zwischen den Parteien vereinbarte Preise handelte. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob die vor der streitgegenständlichen Preiserhöhung vom 1. Oktober 2004 geltenden Tarife bereits bei Abschluss des Gaslieferungsvertrags zwischen den Parteien galten oder ihrerseits wiederum durch in der Vergangenheit erfolgte Preiserhöhungen gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV zustande gekommen sind.

Handelte es sich bei den vor der streitgegenständlichen Preiserhöhung geltenden Tarifen um die bereits bei Abschluss des Versorgungsvertrages zwischen dem Kläger und der Beklagten geltenden (Anfangs-)preise, unterlagen sie keiner Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB. § 315 Abs. 3 BGB findet auf einen zwischen den Parteien eines Gaslieferungsvertrags vereinbarten Anfangspreis weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung. Die unmittelbare Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB kam nicht in Betracht, weil der bei Abschluss des Gaslieferungsvertrages bestehende Tarif mit Abschluss des Vertrages zum vereinbarten Preis geworden ist.

Auch eine entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB auf den zwischen den Parteien vereinbarten Anfangspreis schied vorliegend aus. Der Bundesgerichtshof geht zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind. Diese Rechtsprechung war hier indessen nicht einschlägig. Es fehlte an einer Monopolstellung der Beklagten als Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB. Die Beklagte war im Jahr 2004 zwar einzige Anbieterin leitungsgebundener Gasversorgung im Versorgungsgebiet Heilbronn. Auf dem Wärmemarkt stand und steht sie aber – wie alle Gasversorger - in einem (Substitutions-)Wettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme, zwischen denen Neukunden frei wählen können. Der von diesem Konkurrenzverhältnis ausgehende Wettbewerbsdruck, der den Preisgestaltungsspielraum der Gasanbieter begrenzt, kommt wegen der Einheitlichkeit der Versorgungstarife auch "alten" Tarifkunden wie dem Kläger des vorliegenden Verfahrens zugute.

Handelte es sich dagegen bei den vor der streitgegenständlichen Preiserhöhung zum 1. Oktober 2004 geltenden Tarifen der Beklagten um Tarife, die in der Vergangenheit durch von der Beklagten gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV vorgenommene Preiserhöhungen zustande gekommen waren, war § 315 BGB auf diese Preiserhöhungen zwar zunächst unmittelbar anwendbar. Der Kläger hätte diese – wie auch die streitgegenständliche Preiserhöhung – auf ihre Billigkeit überprüfen lassen können. Der Berücksichtigung der etwaigen Unbilligkeit vergangener Preiserhöhungen im Rahmen der Überprüfung der hier streitgegenständlichen Preiserhöhung zum 1. Oktober 2004 stand aber entgegen, dass der Kläger die auf diesen Tarifen basierenden Jahresabrechnungen unbeanstandet hingenommen hatte.

Leitsatz:

BGB § 315; EnWG 1998 § 10; AVBGasV § 4

a) Einseitige Tariferhöhungen eines Gasversorgers gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVB-GasV unterliegen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.

b) Die gerichtliche Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB wird durch den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 19 Abs. 4 Nr. 4, § 33 GWB nicht verdrängt.

c) Die auf einer vorgelagerten Lieferstufe praktizierte Bindung des Erdgaspreises an den Preis für leichtes Heizöl (sog. Anlegbarkeitsprinzip) ist nicht Gegenstand der Billigkeitskontrolle einer einseitigen Erhöhung des Gaspreises, den ein Gasversorger seinen Tarifkunden in Rechnung stellt.

d) Eine Tariferhöhung, mit der lediglich gestiegene Bezugskosten des Gasversorgers an die Tarifkunden weitergegeben werden, entspricht grundsätzlich der Billigkeit; sie kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg der Bezugskosten durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird.

e) Eine einseitige Erhöhung des Gastarifs kann unbillig sein, wenn und soweit bereits der vor der Erhöhung geltende Tarif unbillig überhöht war. Das setzt voraus, dass auch dieser Tarif der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegt. Daran fehlt es, wenn der Tarif zwischen dem Versorger und dem Tarifkunden vereinbart ist (im Anschluss an BGH, Urteil vom 28. März 2007 - VIII ZR 144/06, z.V. in BGHZ bestimmt).

f) Ein von dem Gasversorger einseitig erhöhter Tarif wird zum vereinbarten Preis, wenn der Kunde die auf dem erhöhten Tarif basierende Jahresabrechnung des Versorgers unbeanstandet hinnimmt, indem er weiterhin Gas von diesem bezieht, ohne die Tariferhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB als unbillig zu beanstanden.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Bundesgerichtshof
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:13.06.2007
  • Aktenzeichen:VIII ZR 36/06

Quelle:ra-online, Pressemitteilung Nr. 70/07 des BGH vom 13.06.2007